Fitnesstracker: Zwischen Euphorie, Ernüchterung und Emanzipation

Fitness-Tracker, Smartwatches und Wearables sind längst zu unverzichtbaren Begleitern unseres Alltags geworden. Sie versprechen Kontrolle über unseren Körper, verbessern unsere Gesundheit und vermitteln ein Gefühl der Sicherheit. Doch wie nutzen wir diese Gadgets wirklich, und welche Auswirkungen haben sie auf unser Leben? 

Die Vielseitigkeit dieser Geräte ist beeindruckend: Sie messen Herzfrequenzen, zählen Schritte, schätzen Kalorienverbrauch und analysieren unseren Schlaf. Kein Wunder, dass die Verkaufszahlen laut einer Studie des Digitalverbands Bitkom aus dem Jahr 2019 kontinuierlich steigen. Doch hinter diesen Zahlen verbirgt sich mehr als nur ein bloßer Trend – es ist ein Einblick in unsere gegenwärtige Kultur und Lebensweise.

Im wissenschaftlichen Diskurs finden sich verschiedene Ansätze, um diesen Trend zu erforschen und zu verstehen. Die morphologische Psychologie beispielsweise betrachtet sie durch die Linse konkreter Alltagshandlungen. Sie fragt danach, wie diese Technologien in unserem täglichen Leben tatsächlich eingesetzt werden und welchen Einfluss sie auf uns haben und welche Lösungen sie für unsere Alltagsprobleme bieten. 

Sich selber auf die Schliche kommen 

Eine interessante Hypothese, vorgestellt von den Autoren Duttweiler und Passoth (2016), besagt, dass die Nutzung dieser Gadgets nicht nur bekannte, sondern auch unbekannte Körperfunktionen erfassbar macht. Dadurch werden unsere eigenen Verhaltensweisen transparenter und bewusster. Wir werden uns bewusst, wie wir uns fühlen, wie wir uns bewegen und wie wir leben.  Doch die Faszination für die Selbstvermessung reicht über die bloße Datenerfassung hinaus. Sie bietet auch einen Weg zur Verbindung – sei es mit anderen Menschen oder mit uns selbst. Familienmitglieder, Freunde und sogar Fremde können über diese Technologie miteinander verbunden werden, sei es durch das Teilen von Daten oder das gemeinsame Setzen von Zielen. Doch wie bei vielen neuen Trends wird auch hier die anfängliche Euphorie oft von einer gewissen Ernüchterung begleitet.

Der kulturpsychologische Blick – Introspektion mithilfe von Zahlen?

Kulturpsychologisch ist diese Form der Introspektion über quantitative Messwerte immer spannend. Wie man sich selbst über die Messdaten verstehen lernt, ist eine Fragestellung, die auch psychologisch interessiert. Aus einer tiefenpsychologischen und auch phänomenologischen Perspektive stellt sich die Frage, was hier ‚bewusst‘ und anschaulich wird und werden darf. Denn, obwohl die Verkaufszahlen der Gesundheits-Tracker seit Jahren steigen, zeigen Nutzungsstudien, dass der konkrete Gebrauch der Gadgets im Alltag von Pausen begleitet oder sogar ganz aufgegeben wird.

In meinen eigenen Forschungen habe ich vier Phasen identifiziert, die diesen Prozess der Emanzipation von den Gadgets beschreiben:

Phase 1 – Sich verloren fühlen Die Anschaffung der Selbstvermessungsgeräte erfolgt oft in Zeiten des Umbruchs und der Veränderung. Sie sollen Stabilität und Orientierung in einer ungewissen Welt bieten. 

Phase 2 – Sich verbinden In dieser Phase dienen die Gadgets nicht nur der Selbstvermessung, sondern auch der sozialen Bindung. Menschen teilen ihre Daten und Ziele miteinander, um sich als Teil einer Gemeinschaft zu fühlen.

Phase 3 – Sich einordnen und ordnen Die Selbstvermessung ermöglicht eine Selbstortung und Selbstbestimmung im Alltag. Ziele und Maßstäbe geben Struktur und Kontrolle.

Phase 4 – Selbstbestimmt werden Schließlich lösen sich viele Menschen von den vorgegebenen Zielen und entwickeln ihre eigenen Maßstäbe. Sie finden zu einer neuen Form der Selbstbestimmung und Unabhängigkeit.

Insgesamt zeigt sich, dass die Attraktivität der Selbstvermessung nicht in der bloßen Datenerfassung liegt, sondern vielmehr in der Möglichkeit zur Selbstreflexion und Selbstbestimmung. Diese Gadgets können uns helfen, uns besser kennenzulernen und unseren eigenen Weg zu finden – vorausgesetzt, wir nutzen sie bewusst und reflektiert.

https://www.bitkom.org/sites/default/files/2019-09/190903_ct_studie_2019_online.pdf

Leben nach Zahlen – https://www.transcript-verlag.de/media/pdf/e4/4f/d3/ts3136_1.pdf